Montag, 29. August 2016

Die Nacht der Nächte

Es war bereits der 5. Tag des Ferienlagers in Sedrun und ich dachte so bei mir, dass sich bis jetzt noch gar nichts ereignet hätte, über das man im Lagerlied singen könnte. Manchmal ist es besser, wenn man nicht denkt.

Täglich um 18 Uhr trafen sich die Leiter mit Elisabeth zur Leiterrunde. Johanna ging es allerdings kurze Zeit danach so schlecht, dass sie sich übergeben musste. Wir bedauerten die arme Johanna aufrichtig, isolierten sie von den anderen Teilnehmern und machten uns keine weiteren Gedanken. 

Die Damen des Küchenteams hatten sich zum Abendessen  mal wieder selbst übertroffen und servierten eine leckere Pizza. Alles ganz normal, alles wie immer. Und niemand ahnte auch nur im geringsten, dass sich schon längst ein fieser, kleiner Virus breit gemacht hatte, um uns eine unvergessliche Nacht zu bescheren.

Johanna sollte nämlich nicht die einzige bleiben, der es schlecht ging und die brechen musste. Im Laufe des Abends und der Nacht summierte sich die Zahl der Leidensgenossen. Mit Eimer (für die Kotzer), Putzlappen und Schwamm putzen Elisabeth und ich die Hinterlassenschaften weg und reinigten die Bettlaken. Langsam gingen uns die K-Eimer aus, so dass wir dazu übergehen mussten, Salatschüsseln aus der Küche zu nutzen. Wir wischten und putzen unverdrossen durch die Nacht, leerten Eimer und spendeten Trost. Ich nannte uns "die Kotzbrocken".  

Zwischenzeitlich schickten wir das Küchenteam zu Bett, damit die Versorgung der Gesunden am nächsten Tag gewährleistet war. Eine sehr weise Entscheidung. So desinfizierten sie nicht nur das ganze Gebäude, sondern kochten noch eine leckere Hühnersuppe. 

Im Speisesaal richteten wir ein Notlager ein. Daniel, Leo, Peter und Gabriel leisteten uns in den K-pausen Gesellschaft. Man mag es in dieser Situation kaum glauben, aber wir hatten sehr viel Spaß miteinander. Für Elisabeth und mich waren sie eine wertvolle Unterstützung, für die ich mich an dieser Stelle nochmals herzlich bedanken möchte.

Leider ging es dann Leo immer schlechter und er setzte sich in den Windfang. Auch Daniel ging ins Bett. Wir brauchten ja am anderen Tag auch noch Leiter, die fit genug waren, um die gesunden Kinder zu bespaßen. Denn auch die Zahl der Leiterinnen und Leiter hatte sich merklich dezimiert. 

So blieben am Ende noch Peter und Gabriel übrig. Munter und fidel. Das lag vielleicht daran, dass beide Muhlis sind, meinte Theresa. So schnell gehen die nicht kaputt.

Insgesamt 11 Kinder lagen im Speisesaal, zwei auf der Terrasse, manche auf Matratzen oder auf Isomatten. Der Rest saß mit irgendeinem Gefäß im Bett. Adrian erhielt meinen Schlafsack, Fabian meinen Pulli und meine grüne Decke. Ich kam mir vor wie Sterntaler, nur dass es am Ende keine Taler regnete. Wobei es bei der Katholischen Kirche für das gemeine Fußvolk sowieso keine Taler regnet. 

Weniger munter und fidel war Lukas. Der hatte sich in die selbstgewählte Isolation ins Leiterzimmer im Untergeschoss begeben. Genützt hat es ihm allerdings nichts. Als ich in eben jenes Untergeschoss ging um Bettlaken zu entsorgen, sah ich Elisabeth, die in einer der Toiletten mit ihrem lila Putzlappen zugange war. Die Glastüre, die den Schuhraum vom Flur trennte, war geschlossen, und ich dachte bei mir, komisch, seit wann ist die aus Milchglas. War sie natürlich nicht. Lukas hatte dagegen gereihert. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so gelacht habe. Ich säuberte die Tür und dachte, schade um die Pizza.




Lukas gesellte sich zu den anderen in den Speisesaal und lag, wie schon im Jahr zuvor, wie das Leiden Christi auf seiner Matratze. 

So gegen halb fünf leerte ich den letzten Eimer und legte mich zu Amelie auf den Boden. In Ermangelung eines Schlafsackes deckte ich mich mit einem Spannbetttuch zu. Natürlich war es kalt. Elisabeth lag im Flur bei den Kinderzimmern, wobei ständig das Licht anging, sobald jemand den Flur betrat. 

Belohnt wurde ich am Morgen dann doch noch. Es nieselte und mit der aufgehenden Sonne zeichnete sich ein wunderbarer Regenbogen am Horizont. Und so tanzte ich nach dieser Nacht der Nächte ausgelassen über die regennasse Wiese.