Sonntag, 2. August 2015

Über Stock und Stein

Meine Mutter ist im Pflegeheim. Das hat sie sich für ihren Lebensabend sicher nicht vorgestellt und ist nichts, was man sich für die eigene Zukunft aussuchen würde. Aber man kann sich sein Leben nicht immer aussuchen, manchmal wird man einfach gelebt.

Jedenfalls dachte ich mir, ich mache meiner Mutter eine Freude und lade sie zu einer Matinee des Vokalensembles Müllheim in die Martinskirche ein. Aufgeregt erwartete sie mich um halb elf, schick angezogen mit weißer Bluse und altrosa Strickjäckchen. Fröhlich saß sie in ihrem Rollstuhl und verabschiedete sich winkend von ihren Mitbewohnern und Pflegerinnen.

Soweit - so gut. Weniger fröhlich war ich, als ich am Fuße der Wilhelmstraße stand. Die Wilhelmstraße in Müllheim steigt bis zu ihrem Ende mehr oder weniger leicht an, was an sich für rollstuhlschiebende Nichtsportler kein Problem darstellt. Problematisch ist das holprige Pflaster, von dem wahnsinnig clevere Müllheimer Stadtplaner dachten, es sei eine wahnsinnig clevere Idee. Liebe wahnsinnig clevere Müllheimer Stadtplaner: Ihr habt euch geirrt.

Wer keine Wanderschuhe oder zumindest feste Turnschuhe an den Füßen hat, für den ist das Pflaster eher suboptimal. Wenn ich mich recht daran erinnere, wurde das Pflaster seinerzeit aus Vietnam importiert. Wahrscheinlich deshalb, weil Vietnam Weltmarktführer im Bepflastern von kaum frequentierten Fußgängerzonen ist. Bis heute beschäftigt mich die Frage, wer sich eigentlich so was ausdenkt.

Schimpfend und fluchend schob ich meine Mutter langsam bergan übers Pflaster und selbst wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht schneller laufen können ohne Gefahr zu laufen, dass es meine Mutter aus dem Rollstuhl rumpelt. Festschnallen darf ich sie nämlich ohne Genehmigung des Amtsgerichts nicht. Auf Bitten der Pflegeeinrichtung habe ich ein Bettgitter für die Nacht beantragt, da meine Mutter sehr unruhig schläft und man Angst hatte, sie fällt aus dem Bett. Vom Amt kam die Rückfrage, ob auch andere Maßnahmen ins Auge gefasst worden seien, beispielsweise das Tragen eines Helmes. Das lasse ich jetzt mal so wirken.

Jedenfalls hoppelten wir die Straße hoch und mit jedem Meter wuchs meine Wut. "Da hast du ja ganz schön was zu schaffen", zollte mir meine Mutter ihre Anerkennung. Ziemlich außer Atem - zumindest ich - erreichten wir dann doch noch die Martinskirche.

Das Konzert war sehr schön und hat meiner Mutter sehr gut gefallen. Im langsameren Teil hat sie noch ein Nickerchen gemacht und so schob ich sie gut erholt nach dem Konzert über das elende Pflaster wieder hinunter.

Ich könne ja jetzt ein Mittagsschläfchen machen, meinte meine Mutter, als ich sie wieder im "Stüble", wo Kaffee und Kuchen auf sie warteten, abgeliefert hatte. Ein frommer Wunsch, denn als ich nach Hause kam, war meine Couch belegt von Resi, Mäc und Simon, die Lucky Luke schauten. Ein herzallerliebstes Bild, das ich durch ein "Runter von meiner Couch" nicht zerstören wollte.

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