Mittwoch, 21. Mai 2014

Warten auf den TGV

Ich wohne unweit der Bahnverbindung Neuenburg - Müllheim, genauer gesagt sogar parallel der Bahngleise. Da bin ich auch aufgewachsen. Wenn ich das jetzt so lese klingt das nicht gerade nach einem spannenden Leben. Vielleicht sollte ich mal was ganz Verrücktes machen. In einem ausgehöhltem Baumstamm den Amazonas erkunden und mich im Dschungel zur Schamanin ausbilden lassen. Oder mit dem Fahrrad nach Müllheim zur Gesangsstunde fahren. Irgendetwas in der Art. Mal sehen.

Jedenfalls war ich glücklich, als die Bahnlinie wieder aktiviert wurde. Man konnte also endlich wieder von Neuenburg nach Freiburg mit dem Zug fahren. Super. Als dann die Nachricht kam, dass sogar der TGV durch unsere Stadt fahren würde, war ich beinahe aus dem Häuschen. Wahnsinn. Anfangs standen wir tatsächlich jeden Abend fast ehrfürchtig am Wohnzimmerfenster und bestaunten das Wunderwerk französischer Ingenieurskunst.

Klar wollte ich ihn auf jeden Fall fotografieren. Den TGV bei Nacht (morgens fährt er einfach zu früh vorbei). Gesagt, getan. Eines Abends machte ich mich gegen neun Uhr die paar Meter auf den Weg Richtung Bahngleise. Es kamen mir auch Lichter entgegen, es war aber nur der Regionalzug. Na ja, wird schon noch kommen.

Kurze Zeit später gesellte sich Roland W. zu mir. Er wäre gerade im "Kistle" (für Nicht-Neuenburger die Bahnhofswirtschaft) gewesen und wolle endlich den TGV auch mal aus der Nähe betrachten. Er müsse ja bald kommen.

Es war zehn nach neun, vom Wunderwerk noch keine Spur. 

So standen wir in trauter Zweisamkeit und warteten, sprachen über dies und das ... und warteten. Ein Polizeifahrzeug fuhr ganz langsam an uns vorbei und der Fahrer schaute etwas irritiert, was die zwei einsamen Seelen wohl am Bahnsteig zu suchen hätten. Weit und breit war sonst kein Mensch zu sehen. Warum auch. Mittlerweile hatte es nämlich angefangen zu nieseln. Natürlich hatte ich keine Regenjacke dabei und versuchte mühsam, meine neue Kamera vor der Nässe zu schützen. 

Ob wohl der Zug Verspätung hatte? Muss ja so sein, waren wir uns einig. Denn ich hätte ihn ja von meinem Wohnzimmer aus bemerkt und Roland ganz bestimmt im "Kistle". Das grenzt ja auch an die Gleise.

Dann fuhr die Polizei wieder an uns vorbei. Diesmal warf der Beifahrer einen kurzen Blick auf die seltsamen Gestalten, die im Nieselregen am Bahnsteig standen und warteten. Auf was oder wen? 

Zwanzig nach neun kamen wir überein, dass der Zug sich wohl doch unbemerkt an uns vorbeigeschlichen haben musste. Wir verabschiedeten uns und jeder ging seiner Wege.

Gott sei Dank war niemand zu Hause. So musste ich nicht erklären, warum ich ohne Bilder, dafür ziemlich nass nach Hause komme und erst nach beinahe einer halben Stunde gemerkt hatte, dass das Wunderwerk französischer Ingenieurskunst schon längst durchgefahren war. Da war ich noch zu Hause und Roland im "Kistle". 

So gegen zwanzig vor neun ist übrigens der ideale Zeitpunkt, um den TGV zu fotografieren.











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